„Von der Unmittelbarkeit des Geistes – Anmerkungen zu Arbeiten der Künstlerin Soshana“
Unvorstellbare Grausamkeit hat in unserem Jahrhundert Massen von Existenzen vernichtet und auch zahllose Menschen entwurzelt. Ungezählte Schicksale, zerbrochene Lebensbahnen, zerstörte Hoffnungen. Wie tragisch in alldem sich eben die sensibelsten Naturen, die Künstler einer Zeit, verloren, weiß man aus einer Unfülle von Beispielen. Dennoch zeigt sich auch, dass aus persönlichem Leid, aus Verlorenheit genau das Umgekehrte zu entstehen vermag: verstärkte Kraft, Weltoffenheit, bedeutende Impulse durch Begegnungen, Erlebnisse, Vertiefungen.
Mir tritt ein solches Phänomen aus dem Werk von Frau Soshana besonders deutlich hervor. Sei, die gebürtige Wienerin, ist nicht zerbrochen, sondern gewachsen. Nun vermag wohl nichts so sehr von der tiefsten Empfindung eines Künstlers zu sprechen wie die Zeichnung. Hier entfaltet er sich ganz unmittelbar, ganz spontan und öffnet uns den Blick für Unaussprechliches; die Chiffre wird zum Träger der empfindsamen Mitteilungen. Eben wie es in einem der eindruckvollsten Sätze seiner Ästhetik-Vorlesungen von 1817 GW. Hegel formulierte: „Die Handzeichnung verdient höchstes Interesse, indem nan das Wunder sieht, wie der Geist unmittelbar in die Hand übergeht.“
Die Pinselzeichnungen in Tusche oder Aquarell unserer Künstlerin, die aus dem Erlebnis China herrühren, die feinen Landschaften mit ihrer schwebenden Atmosphäre ebenso wie die kalligraphischen Kompositionen mit edlen Strichführungen und explosiven Akzenten sprechen für uns, die wir ihrer Kunst, ihrem Geist nachspüren dürfen, eine wunderbare Sprache von ihrer Kraft, Offenheit und einem tiefen inneren Reichtum.
Walter Koschatzky, Hofrat Prof. Dr., Wien 1997, ehem. Direktor der graphischen Sammlung Albertina, Wien